tekom - Gesellschaft für technische Kommunikation - Deutschland e.V.
25.05.2022

Wie wichtig ist die Lokalisierung von Benutzerdokumentation?

Ein Bericht vom jüngsten Meeting des International University Network in Technical Communication (IUNTC)

Yvonne Cleary, Daniela Straub

Die Globalisierung in den Märkten für technische Produkte macht es unabdingbar, die Auswirkungen kultureller Unterschiede auf die Benutzerfreundlichkeit und die User Experience von Benutzerinformationen zu berücksichtigen. Am Donnerstag, 12. Mai, trafen sich mehr als 50 Teilnehmer:innen im jüngsten Meeting des IUNTC unter Vorsitz von Dr. Joyce Karreman, Assistant Professor of Technical Communication an der Universität Twente in den Niederlanden. Das Thema von Joyces Vortrag war “How important is localizing user documentation? Research on the effects of localization on users (Wie wichtig ist die Lokalisierung von Benutzerdokumentation? Forschungen über die Auswirkungen von Lokalisierung auf Benutzer:innen)”. Der Vortrag stellte eine Reihe von Studien vor, die Joyce und ihre Kolleg:innen Qian Li and Menno de Jong durchgeführt haben, um zu untersuchen, wie chinesische und westliche Benutzerinformationen sich unterscheiden und welche Auswirkungen kulturelle Anpassungen auf chinesische und westliche Benutzer:innen haben.

Ergebnisse der Analyse

Die erste Studie, die Joyce vorstellte, analysiert die Inhalte von 50 westlichen und 50 chinesischen Anleitungen für Haushaltsgeräte. Die Analyse bestätigte vorausgegangene Forschungsergebnisse, die Unterschiede in Inhalten, Struktur und Grafiken aufzeigten. Was die Inhalte angeht, so fanden Joyce und ihre Kolleg:innen heraus, dass westliche Anleitungen tendieren, sehr zweckgebunden zu sein: Sie erklären Endverbraucher:innen, wie ein Gerät funktioniert. Chinesische Anleitungen sind dagegen weniger zweckorientiert und eher unterhaltend. Sie sind nicht allein für Konsument:innen gedacht, sondern ebenfalls für Techniker:innen und können auch verfahrensorientierte und Marketing-Informationen enthalten. Westliche Anleitungen sind eher hochgradig strukturiert, z.B. durch den Gebrauch von Überschriften, Modularisierung und Listen. Im Gegensatz dazu verwenden typische chinesische Anleitungen Überschriften und Listen weniger einheitlich oder hervorgehoben. Anleitungen werden eher in Absätzen als in schrittweisen Listen dargestellt. Chinesische Anleitungen präsentieren darstellende (expositorische) Informationen induktiv, mit den Argumenten zuerst, während westliche Anleitungen solche Inhalte deduktiv präsentieren, also mit der Schlussfolgerung zuerst. Was Illustrationen betrifft, sind westliche Dokumentationen wiederum funktional, so dass z.B. technische Zeichnungen verdeutlichen sollen, wie ein Gerät funktioniert. In chinesischen Dokumentationen werden Cartoons oder andere unterhaltende oder ablenkende Illustrationen verwendet.

In einer ähnlichen Studie befragten Joyce und ihre Kolleg:innen zwanzig chinesische Technische Redakteur:innen zu ihren Meinungen über die Unterschiede zwischen chinesischen und westlichen Benutzerdokumentationen. Die Befragten erkannten die Bedeutung kultureller Unterschiede für die verschiedenen Erwartungen von westlichen und chinesischen Nutzer:innen. Sie glaubten, dass westliche Nutzer:innen sich mehr auf die Benutzerinformationen verlassen als chinesische. Weil die Befragten Formatvorlagen und standardisierte Werkzeuge benutzen, schlussfolgerte das Forschungsteam, dass sich chinesische Anleitungen zukünftig gegebenenfalls westlichen Anleitungen angleichen könnten.

Weitere Studien

Joyce referierte auch drei User-Studien, die die Auswirkungen von chinesischen und westlichen Herangehensweisen an Struktur, expositorischen Informationen und Illustrationen untersuchte. Diese Studien wurden mit drei Gruppen durchgeführt: Chinesischen Teilnehmer:innen in China, chinesischen Teilnehmer:innen in Europa und westlichen Teilnehmer:innen in Europa. Die Ergebnisse der Studie zur Dokumentenstruktur zeigte keine signifikanten Unterschiede im Erledigen von Aufgaben oder der wahrgenommenen Benutzerfreundlichkeit. In der zweiten Studie, die die Struktur expositorischer Texte untersuchte, bevorzugten beide chinesischen Gruppen die induktive Präsentation solcher Texte, also mit den Argumenten zuerst, was sowohl Lesbarkeit als auch Überzeugungskraft angeht, während die westlichen Teilnehmer:innen die deduktive Präsentation bevorzugte. Die dritte Studie untersuchte den Gebrauch verschiedener Arten von Cartoons und technischen Zeichnungen. Die Ergebnisse lagen im Großen und Ganzen im Rahmen der Erwartungen, nämlich dass chinesische Teilnehmer:innen die unterhaltenden Illustrationen schätzten, während westliche Teilnehmer:innen positiver auf die technischen Zeichnungen reagierten.

Als Resümee aller Arbeiten zusammen wurde festgehalten, dass Lokalisierung die User Experience verbessert, aber letztlich nicht unerlässlich für die Usability von Bedienungsanleitungen ist.
 
Auf die Präsentation folgte eine lebhafte Diskussionsrunde mit Fragen und Kommentaren zur Durchführung der Studien, zu demographischen Details der Befragten, weiterer Forschung, den versteckten Auswirkungen kultureller Unterschiede, und weiteren Themen. Die Teilnehmer:innen des IUNTC dankten Joyce für ihre interessante und aufschlussreiche Präsentation.

Nächstes IUNTC-Meeting

Das nächste IUNTC-Meeting findet statt am Dienstag, 14. Juni, um 15:00 Uhr (MESZ), mit dem Vortrag von Professor Kim Sydow Campbell der University of North Texas mit dem Thema “How do YOU search for existing knowledge? Listening to academics and practitioners in business/professional/technical communication across the globe (Wie suchen SIE nach bestehendem Wissen? Akademiker:innen und Praktiker:innen in Wirtschafts-/Fach- und Technischer Kommunikation aus der ganzen Welt berichten)”.

Weitere Informationen über das IUNTC finden Sie hier. Wenn Sie dem IUNTC beitreten wollen, schreiben Sie einfach eine E-Mail an d.straub@tekom.de.