tekom - Gesellschaft für technische Kommunikation - Deutschland e.V.
02.05.2018

Wie und nach welchen Maßgaben wird eine Gebrauchsanweisung verfasst?

Gastbeitrag von Torsten Gruchmann, tekom-Beirat Recht und Normen

Die Gebrauchsanweisung ist per Definition Bestandteil der Benutzer-Produkt-Schnittstelle eines Medizinprodukts. Demnach unterliegt sie wie das Medizinprodukt selbst den Anforderungen des Usability-Engineering-Prozesses. Häufig sind die konkreten Anforderungen allerdings dem Ersteller der Gebrauchsanweisung nicht bekannt. Da die Begleitdokumentation durch die IEC 62366-1:2015 weiter in den Fokus gerückt ist, gilt es nun, die Medizintechnikhersteller für das Thema zu sensibilisieren.

Ein Produkt, in diesem Fall ein Medizinprodukt, ohne die Notwendigkeit einer Gebrauchsanweisung ist der Traum eines jeden Anwenders. Auch wenn das Thema E-Labeling einen großen Schritt in diese Richtung geht, so sind die allermeisten Medizinprodukte sehr weit davon entfernt, intuitiv genutzt zu werden. Was vielen Produkten schon helfen würde, ist eine benutzerfreundliche Anleitung. Je besser die Usability des Medizinproduktes ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Gebrauchsanweisung nur für spezifische Fragen herangezogen werden muss. Genau für diese Fälle muss garantiert sein, dass der Anwender die Antworten zu seinen Fragen umgehend findet. 

Eine Gebrauchsanweisung, die sowohl inhaltlich korrekt als auch benutzerfreundlich ist, hat einen positiven Einfluss auf die sichere Bedienung des Medizinprodukts wie auch auf die User Experience. 

Aus einer Studie des Verbraucherrats des Deutschen Instituts für Normung (DIN) [1] geht hervor, welche Bedürfnisse und Anforderungen Anwender an Gebrauchsanweisungen haben. Wichtige Ergebnisse dieser Studie sind, dass häufig Produktinformationen fehlen oder schlecht aufgefunden werden können, dass Informationen unverständlich wiedergegeben werden und dass eine schlechte Lesbarkeit, bedingt durch das Layout, vorliegt. Die Frage, die sich viele Hersteller von Medizinprodukten stellen, ist: „Wie erhalte ich eine benutzerfreundliche Gebrauchsanweisung?“ 

Die wesentlichen Punkte, die es zur Erstellung einer benutzerfreundlichen Gebrauchsanweisung zu berücksichtigen gibt, sind die folgenden:

  • Zielgruppenanalyse
  • Kurze, einfache und verständliche Sätze
  • Vermeidung von Fach- und Fremdwörtern
  • Logischer Aufbau
  • Chronologische Beschreibung der Handlungsschritte
  • Aktive Formulierungen
  • Ausgewogenes Bild-Text-Verhältnis
  • Klares Layout

Obwohl diese Punkte logisch erscheinen und es zudem einige Normen und Richtlinien [2-6] oder "Best Practice"-Dokumente [1] gibt, findet man in der Realität genügend Beispiele, die eher eigenen Regeln folgen und daher kaum verständlich sind.

Der Entwicklungsprozess

Die Gebrauchsanweisung von Medizinprodukten ist laut IEC 62366-1:2015 [5] ein Teil des User Interfaces und damit Teil des Usability-Engineering-Prozesses. Das bedeutet, dass die Gebrauchsanweisung ebenfalls einem iterativen Entwicklungsprozess unterliegt. Zudem muss in einer summativen Evaluierung überprüft werden, ob die Gebrauchsanweisung als Risikobeherrschungs-Maßnahme greift und zudem verständlich ist. 

Die Realität sieht bei den meisten Gebrauchsanweisungen allerdings so aus, dass sie kurz vor Schluss nicht von einem fachkundigen Technischen Redakteur, sondern von einem Mitarbeiter des Herstellers erstellt wird, der das Produkt bereits durch seine Funktion, z.B. als Entwickler, gut kennt. In vielen Fällen hat dieser allerdings nur geringfügige Erfahrungen in Bezug auf die Erstellung von Technischer Dokumentation. Hinzu kommt oft, dass eine vorausgehende Zielgruppenanalyse fehlt, die erforderlich wäre, um den Inhalt und das Layout der Gebrauchsanweisung an die Endanwender anzupassen. Die rosarote Brille, die der Entwickler in Bezug auf sein Produkt trägt, führt ebenfalls dazu, dass Handlungsschritte nicht ausreichend nachvollziehbar beschrieben werden. 

Risikomitigierung

Alle Medizinprodukte, die in Europa zugelassen werden sollen, müssen laut ISO 14971 [7] einen Risikomanagementprozess durchlaufen haben. Durch die dritte Edition der ISO 14971 aus dem Jahr 2012 wird im Anhang ZA gefordert, dass ein Hinweis auf Restrisiken in den Begleitdokumenten nicht mehr direkt als risikomitigierende Maßnahme angesehen werden darf. Es wird klar gefordert, dass die Maßnahmen "Inhärente Sicherheit", "Technische Schutzmaßnahmen und -einrichtungen" und "Benutzerinformation" in absteigender Reihenfolge angewendet werden müssen, sofern es ein Risiko zu mitigieren gilt.

Normative Anforderungen

Für die Entwicklung von Medizinprodukten und auch für die Entwicklung von Begleitdokumenten sollten für den europäischen Markt u.a. folgende Normen und Richtlinien berücksichtigt werden:

  • IEC 62366-1:2015 [5]
  • IEC/TR 62366-2:2016 [6]
  • MDR [8]
  • Verordnung 207/2012 [8]
  • IEC 82079-1:2012 [2]

Je nach Produkt können noch weitere produktspezifische Normen und Richtlinien hinzukommen, deren Anforderungen es zu beachten gilt. Sollen Produkte auch in anderen Ländern zugelassen werden, so muss vorab überprüft werden, welche weiteren Normen eingehalten werden müssen.

Die IEC 62366-1 trifft keine expliziten Aussagen zur Erstellung der Gebrauchsanweisung; sie setzt allerdings eine zielgruppenorientierte Entwicklung voraus und fordert die abschließende Evaluierung aller risikoreduzierenden Maßnahmen, die die Begleitdokumente angehen, hinsichtlich der verbleibenden Restrisiken. Der technische Report IEC/TR 62366-2 geht darauf ein, warum Sicherheitshinweise bzw. "Benutzerinformation" erst als dritte Risikominimierungsmaßnahme anzusehen sind: Anwender haben nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort die Möglichkeit, auf die Begleitdokumente zurückzugreifen. Weitere Argumente sind die verminderte Effektivität gegenüber einer Designänderung am Produkt wie auch die nicht garantierte Verständlichkeit der Sicherheitshinweise. Zudem definiert die IEC/TR 62366-2 die Einbindung der Gebrauchsanweisung in den Usability-Engineering-Prozess und geht auf mögliche Methoden der entwicklungsbegleitenden Evaluierung ein.

Konkretere Forderungen an die Begleitdokumente findet man in der seit Mai 2017 gültigen Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation, MDR). Diese fordert u.a., dass die Begleitdokumente für die Anwender einfach zu verstehen sein müssen. Zudem sollen alle Restrisiken in die Begleitdokumentation mit aufgenommen werden, entweder als Beschränkungen, Kontraindikationen, Vorsichtsmaßnahmen oder Warnungen. Werden Symbole und Farben verwendet, so sollten diese vorzugsweise aus harmonisierten Normen stammen; gibt es für bestimmte Hinweise keine harmonisierten Symbole, so können auch andere Symbole verwendet werden, aber nur, wenn es dazu auch eine Erklärung in dem Dokument gibt.

Die Verordnung 207/2012 über elektronische Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte [8] regelt, bei welchen Produkten die Gebrauchsanweisung in elektronischer Form anstatt in Papierform vorliegen darf und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

Die IEC 82079-1 beinhaltet als eine Hauptforderung die vorausgehende Zielgruppenanalyse. Die Ergebnisse dieser Analyse sollen Aufschluss über die Sprache, die Terminologie, die Inhalte, die Wahl des Mediums und die Informationsaufteilung geben. Daher kann die Zielgruppenanalyse mit der Spezifikation der Anwendung für Medizinprodukte, d.h. die Definition der Hauptbedienfunktionen, der Zweckbestimmung und der Benutzerprofile, verglichen werden. Neben weiteren Forderungen an die Erstellung von Gebrauchsanweisungen enthält die IEC 82079-1 zwei Checklisten (Anhang B und C), die zur Überprüfung der Konformität und Kommentare sowie für die Überprüfung der Effektivität der Kommunikation genutzt werden können.

Neben den oben aufgeführten Normen und Richtlinien müssen sich Medizinprodukte zusätzlich nach den nationalen Anforderungen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten richten. Das in Deutschland geltende Produktsicherheitsgesetz [9] fordert beispielsweise in § 3 (4), dass die Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache mitgeliefert werden muss, sofern "bei der Verwendung, Ergänzung oder Instandhaltung eines Produktes bestimmte Regeln zu beachten sind, um den Schutz von Sicherheit und Gesundheit zu gewährleisten". Bezüglich der Sprache, in der die Gebrauchsanweisung mitgeliefert wird, hat jeder EU-Mitgliedsstaat andere Anforderungen, die vorab mit den einzelstaatlichen Behörden geklärt und berücksichtigt werden müssen.

Fazit

Idealerweise hat im Vorhinein eine Zielgruppenanalyse stattgefunden und es wird ein Technischer Redakteur für die Erstellung der Gebrauchsanweisung beauftragt, der eng mit dem Hersteller, primär mit dem Entwicklungsteam, zusammenarbeitet. Viele Hersteller sehen diese Posten allerdings eher als Verlust, jedoch nicht als Gewinn für das Produkt. Es wäre wünschenswert, wenn sich diese Denkweise in naher Zukunft ändert, denn nur eine inhaltlich sowie normativ korrekte, verständliche und benutzerfreundliche Gebrauchsanweisung führt zu einer sicheren Benutzung des Medizinprodukts. Die einhergehende positive User Experience sollte ebenfalls bei der Entscheidung mitberücksichtigt werden.

Referenzen

[1] „Bedienungs- und Gebrauchsanleitungen: Probleme aus Verbrauchersicht und Lösungsansätze zur Verbesserung technischer Anleitungen“, Verbraucherrat des DIN, Deutsches Institut für Normung e.V., 2009

[2] IEC 82079-1:2012-08 „Preparation of instructions for use – Structuring, content and presentation – Part 1: General principles and detailed requirements“ 

[3] ISO/IEC Guide 37:2012 „Instructions for use of products by consumers“

[4] ISO 3864-2:2016 „Graphical symbols - Safety colours and safety signs - Part 2: Design principles for product safety labels“

[5] IEC 62366-1:2015 „Medical devices -- Part 1: Application of usability engineering to medical devices“

[6] IEC/TR 62366-2:2016-04 „Medical devices - Part 2: Guidance on the application of usability engineering to medical devices“

[7] ISO 14971:2007-03 „Medical devices – Application of risk management to medical devices“

[8] Verordnung (EU) Nr. 207/2012 der Kommission vom 9. März 2012 über elektronische Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte, Amtsblatt der Europäischen Union

[9] „Gesetz über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt (Produktsicherheitsgesetz - ProdSG)“, 08.11.2011

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