23. September 2025 | Regionalgruppe Süd-Niedersachsen
Beirat Online-Events: Barrieren abbauen (1) – Gesetze und Mythen

Auftakt der Beirats-Online-Reihe – Erfolgreicher Start mit mehr als 200 Teilnehmenden
Am 23. September startete die neue Beirats-Online-Reihe mit einem starken Signal: 229 Teilnehmende verfolgten den Auftaktvortrag von Prof. Dr. Gottfried Zimmermann, Leiter des Kompetenzzentrums Digitale Barrierefreiheit an der Hochschule der Medien Stuttgart. Unter dem Titel „Barrieren abbauen – Gesetze und Mythen“ zeigte er auf, wie vielfältig und zugleich herausfordernd das Thema digitale Barrierefreiheit ist.
Digitale Barrierefreiheit – mehr als nur Pflicht
Zimmermann betonte gleich zu Beginn, dass digitale Barrierefreiheit nicht nur eine rechtliche Notwendigkeit darstellt, sondern auch Innovationen hervorbringt. Technologien wie Telefon, Sprachsynthesizer oder selbstbalancierende Rollstühle wurden ursprünglich für Menschen mit Einschränkungen entwickelt – und haben später den Massenmarkt erobert. Barrierefreiheit ist also ein Innovationstreiber.
Paradigmenwechsel: Von der Behinderung zu den Barrieren
Ein zentraler Gedanke des Vortrags war der Wandel im Verständnis von Behinderung. Früher galt es, etwas für Menschen mit Behinderung zu tun – sie wurden als „Objekte“ von Fürsorge und Hilfe gesehen. Heute steht ein anderer Ansatz im Vordergrund: Nicht die Behinderung selbst ist das Problem, sondern die Barrieren, die Menschen in ihrer Teilhabe einschränken.
Dieser Perspektivwechsel ist in der UN-Behindertenrechtskonvention und auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 26) verankert. Ziel ist es, die Umwelt, Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten, dass alle Menschen sie nutzen können – unabhängig von individuellen Einschränkungen. Damit wird Barrierefreiheit zu einer Frage der Gleichberechtigung und Inklusion und nicht bloß zu einer technischen Anforderung.
Grundlagen und Prinzipien
Ein Teil des Vortrags widmete sich den Grundprinzipien der Barrierefreiheit, wie sie in den WCAG 2.1 festgelegt sind:
- Wahrnehmbarkeit: Inhalte müssen für alle Sinne zugänglich sein, z. B. durch Alternativtexte, Untertitel oder Audiodeskriptionen.
- Bedienbarkeit: Angebote müssen auch ohne Maus, Stimme oder feine Motorik nutzbar sein.
- Verständlichkeit: Informationen sollen ohne spezielles Vorwissen und mit einfacher Sprache erfassbar sein.
- Kompatibilität: Digitale Medien müssen mit assistiven Technologien wie Screenreadern zusammenarbeiten.
- Auffindbarkeit: Inhalte sollen so aufbereitet sein, dass Nutzer sie leicht identifizieren können, etwa durch Leichte Sprache oder klare Navigation (nicht Teil des WCAG2.1, von Prof. Zimmermann als sinnvoll erachtetes Zusatzkriterium ergänzt)
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Der Vortrag bot einen Überblick über die wichtigsten Rechtsgrundlagen:
- Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und BITV 2.0 für öffentliche Stellen in Deutschland.
- Die EU-Webseitenrichtlinie (WAD), die öffentliche Einrichtungen verpflichtet, digitale Angebote barrierefrei zu gestalten.
- Der European Accessibility Act (EAA), der ab 2025 auch private Unternehmen betrifft und europaweit Standards setzt.
- Das deutsche Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das den EAA in nationales Recht überführt und bei Nichteinhaltung Bußgelder bis 100.000 Euro vorsieht.
Für wen gilt das BFSG? – Diskussion in der Fragerunde
In der abschließenden Fragerunde nahm das Thema „Für wen gilt das BFSG?“ breiten Raum ein. Prof. Zimmermann erläuterte, dass das Gesetz insbesondere für digitale Produkte wie Computer, Tablets, Smartphones, Automaten mit Interaktionsoberflächen oder E-Book-Reader gilt, sowie für digitale Dienstleistungen, die sich an Verbraucher richten – darunter Online-Shops, E-Commerce, Bankdienstleistungen, Telekommunikationsdienste oder elektronische Tickets.
Er ging auf Rückfragen der Teilnehmenden ein, die sich oft um Abgrenzungen drehten: etwa B2C vs. B2B-Angebote oder die Ausnahmen für Kleinstunternehmen. Zimmermann stellte klar, dass die gesetzliche Pflicht erst für Informationsangebote ab dem 28. Juni 2025 greift, viele Übergangsregelungen vorgesehen sind und nicht jede Organisation unmittelbar betroffen ist.
Sein Fazit jedoch war eindeutig: Die Regeln für digitale Barrierefreiheit einzuhalten, ist in jedem Fall ein Gewinn und eine gute Idee – auch für Unternehmen, die formal nicht zur Zielgruppe des BFSG gehören.
- Termin der Veranstaltung
- 23.09.2025 | 11:30 Uhr
- Veranstaltungsort
- online
- Referent:in
- Professor Dr. Gottfried Zimmermann
- Kontakt E-Mail
-
brg
britta-goers.de @