tekom - Gesellschaft für technische Kommunikation - Deutschland e.V.
05.11.2025

eIFU und Labeling in der Medizintechnik: So wird’s konsistent, konform und weltweit lieferfähig

Digitale Gebrauchsanweisungen (Electronic Instructions for Use/eIFU) sind in vielen Märkten angekommen – und dennoch bleibt das Zusammenspiel von Labeling, IFU/eIFU, Terminologie und Systemlandschaft anspruchsvoll. Der Schlüssel liegt in klaren Zuständigkeiten, einem sauberen Datenfluss und einem risikobasierten Vorgehen, das unterschiedliche Länderanforderungen berücksichtigt. Lesen Sie hier, wie Unternehmen Labeling und IFU konsistent, regelkonform und effizient aufstellen können.

Warum es häufig hakt

In der Praxis entstehen Abweichungen oft dort, wo kurze Labeltexte, Typenschilder und IFU-Inhalte nicht zueinander passen. Abkürzungen werden unterschiedlich genutzt, sind teils unverständlich oder werden außerhalb eines definierten Terminologierahmens eingeführt. Hinzu kommen systemische Brüche: Wird etwa in SAP ein Feld „mal eben“ geändert, ohne dass die Freigabe im PLM angepasst wurde, ist Inkonsistenz programmiert. Übersetzungen über Excel-Listen verschärfen das Problem – Fehler sind vorgezeichnet, Versionen schwer kontrollierbar.
Auch die Rollen sind nicht immer klar: Während die Technische Kommunikation (TK) die inhaltliche Verantwortung für konsistente Texte trägt, erstellen andere Bereiche die Label – und die Validierung „glättet“ am Ende. Früher erarbeitete man vieles gemeinsam; heute fehlen oft verbindliche Schnittstellen.

Zielbild: Eine Quelle, klare Rollen, stabile Schnittstellen

Ein tragfähiges Set-up folgt drei Prinzipien:

1. Single Source of Truth:

Das PLM (Produkt-Lebenszyklus-Management-Daten) hält die freigegebenen, versionierten Produktstammdaten, Kurztexte, Benennungen, Zwecke, Artikelnummern und regulierten Angaben. Von hier aus versorgt ein integrierter Datenfluss ERP (Enterprise Resource Planning/z.B. SAP) und das Labeling-System.

2. Klare Zuständigkeiten:

o Technische Kommunikation verantwortet Textbausteine für Label und IFU/eIFU, inklusive Terminologie.
o Regulatory Affairs prüft und gibt länderspezifische Inhalte frei.
o Validierung arbeitet mit Checklisten, bestätigt Konformität und Datenhygiene.
o PM/Service/Marketing/Vertrieb werden in definierte Review-Schritte eingebunden.

3. Stabile Schnittstellen:

Label werden nicht in ERP „frei Hand“ editiert, sondern ziehen automatisiert die freigegebenen PLM-Daten. Übersetzungen laufen über ein TMS (Translation-Management-System) mit Terminologieanbindung – nicht über Excel.

Terminologie: Der unterschätzte Hebel

Abkürzungen sind nur dann hilfreich, wenn sie definiert, freigegeben und zielgruppengerecht sind. Besser ist, Produktnamen und Kurzbeschreibungen zunächst auf Englisch freizugeben, terminologisch abzusichern, zu übersetzen und dann im PLM zu versionieren. Ein Terminologiemanagement-Tool verankert diese Entscheidungen dauerhaft und schafft Verbindlichkeit. So wird verhindert, dass Begriffe willkürlich verändert oder missverstanden werden – intern wie extern.

eIFU richtig bereitstellen: Nutzerführung statt Link-Wüste

Ob der Hinweis zur eIFU auf die Verpackung oder auf einen Beileger gehört, ist risikobasiert und von Landesrecht abhängig. Entscheidend ist: Nutzende müssen direkt zur produktspezifischen, sprachspezifischen eIFU geführt werden – nicht auf eine generische Startseite. QR-Code, URL oder die Kombination sind denkbar; die Zielgruppe entscheidet über die Praktikabilität. Professionelle Anwender kommen gut mit QR und Portalen zurecht; bei Patientenprodukten oder notfallkritischen Informationen kann Papier weiterhin sinnvoll oder notwendig sein.
Wichtig: Eine Risikobeurteilung zur eIFU ist produktbezogen zu dokumentieren. Sie klärt u. a., ob ohne Papier ausgeliefert werden darf, ob ein Beileger risikomindernd wirkt und wie die Erreichbarkeit der Inhalte sichergestellt wird. Zudem sollte ein Service etabliert sein, der Papier innerhalb von sieben Tagen liefern kann – bei internationalem Versand ggf. mit „Printing on Demand“.

International liefern: Ein System, viele Wirklichkeiten

Europa erlaubt eLabeling/eIFU unter Auflagen; andere Märkte fordern weiterhin Papier. In China etwa ist das Beilegen einer IFU je nach Zulassungsweg zwingend, in Japan sind Beileger verbreitet, und in Russland/Teilen Asiens wird Papier teils vorausgesetzt. Praktikable Praxis ist eine länderspezifische Kommissionierung: Für Papierländer werden Beileger/IFU beigelegt (ggf. mehrsprachig), für den Rest der Welt eIFU via Portal. Auch Sonderlösungen – etwa Datenträger – können akzeptiert sein, sofern die jeweilige Zulassung dies vorsieht.
Für den Zoll braucht es eindeutige, konsistente Angaben: Handels- oder Modellname, Verwendungszweck, Artikelnummer – was auf dem Label steht, muss zum tatsächlichen Verpackungsinhalt und zu Lieferschein/Rechnung passen. Textabweichungen zwischen Label und kaufmännischen Dokumenten sind zu vermeiden oder klar referenziert.

Bestandstexte ändern? Nur reguliert!

Viele bestehende Texte sind Teil der Zulassung. Änderungen ohne geregeltes Änderungsmanagement können zu Konflikten mit Zertifikaten oder Zoll führen. Darum gilt: Bestandstexte nur über freigegebene Change Controls anfassen – landesspezifische Freigaben durch Regulatory Affairs eingeschlossen. Unterschiedliche Materialnummern für gedruckte IFU und eIFU sind üblich; Layouts dürfen variieren, Inhalte müssen gleich sein.

Übersetzen mit System – gern auch mit KI

Übersetzen über Excel ist Vergangenheit. Ein TMS (z. B. Trados) mit angebundener Terminologie und klaren Freigabeworkflows reduziert Fehler und erhöht Konsistenz. Maschinelle Übersetzung kann sinnvoll sein, wenn sie:
• domänenspezifisch trainiert ist (eigene Terminologie!),
• konsequent post-editiert wird,
• und Lieferanten/Übersetzer als Teil des validierten Lieferantennetzwerks geführt werden. Wo keine menschliche Prüfung erfolgt, ist je nach Norm ein Transparenzhinweis erforderlich. Mit eigenem Domain-Training nimmt die Nacharbeit ab; Konsistenz steigt – besonders bei Standardformulierungen.

KI im Produkt: Was in die eIFU gehört

Wo KI Funktionen im Medizinprodukt übernimmt (etwa Datenvorverarbeitung, Befundindikation), sind Kennzeichnung, Risikobewertung und Erklärbarkeit transparent zu adressieren – in IFU/eIFU und der Produktdokumentation. Unternehmen sollten zentrale Pflichtinhalte definieren und Verantwortlichkeiten klar verankern, z. B. mit Produktmanagement(PM)/Regulatory Affairs(RA)/Technische Kommunikation(TK). Übergangsfristen und Regularien erfordern saubere Prozessanpassungen: von der Anforderungserhebung über die Redaktion bis zur Validierung.

Cybersecurity, Open Source & Validierung

Cybersecurity-Anforderungen lassen sich in Form prüfbarer Checklisten in den Freigabeprozess integrieren. Gleiches gilt für Open-Source-Hinweise, wenn Komponenten genutzt werden. Die Validierung prüft, ob Nachweise vorliegen, Anforderungen erfüllt sind und die Kennzeichnung vollständig ist.

Barrierefreiheit & Zielgruppe

„Leicht verständliche Sprache“ und „Leichte Sprache“ sind nicht identisch. Für Patientengeräte sind Zielgruppe, Lese- und Anwendungssituation zu berücksichtigen. Professionelle Anwender brauchen präzise, vollständige Informationen; Patienten benötigen klare, ggf. vereinfachte Erklärungen. Der Medienmix (Papier vs. eIFU), die Tiefe und Platzierung der Informationen leiten sich aus der Zielgruppen- und Risikoanalyse ab.

Content-Delivery-Portale: Vom PDF zur nutzbaren Information

Moderne eIFU-Portale liefern Inhalte topic-orientiert in HTML, mit Rollenrechten, Suchfunktion und optionalen Videos (z. B. Avatar-gestützt). Sie sind typischerweise nicht über Google indexiert, sondern über QR/URL erreichbar. Analytics zeigen, was genutzt wird; Krankenhäuser archivieren häufig digital und greifen auf eIFU-Portale zu. Papierbestellungen sind in vielen Portfolios selten (z. B. nur wenige pro Monat) – ein weiterer Indikator, den eIFU-Reifegrad zu erhöhen.

Der Soll-Prozess – kompakt

1. Terminologie & Stammdaten zentralisieren, in PLM freigeben und versionieren.
2. Englische Mastertexte (Produktname, Zweck, Kurztexte) freigeben, übersetzen, in PLM führen.
3. Labeling-System bindet PLM via Schnittstelle an; keine Direktänderungen regulierter Felder in ERP.
4. IFU/eIFU durch TK erstellen; Reviews mit RA/PM/Service; Validierung mit Checklisten.
5. Länderspezifische Bereitstellung: Portal (gezielte URL/QR), Beileger/Papier je Risiko & Recht; 7-Tage-Papierservice.
6. Change Control für Bestandstexte strikt einhalten.
7. KI/Cybersecurity/OS-Hinweise (Open-Source-Hinweise) in Inhalte und Prüfroutinen integrieren.
8. Monitoring & Feedback (Analytics, Vertrieb) für kontinuierliche Verbesserung.

Fazit

Konsistentes Labeling und eIFU sind kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis eines zentralen, stringenten Prozesses: Terminologie verbindlich, Daten aus einer Quelle, klare Rollen, belastbare Schnittstellen – und ein risikobasiertes Vorgehen, das Länderanforderungen ernst nimmt. Wer diese Grundsätze umsetzt, reduziert Abweichungen, beschleunigt Freigaben und steigert Compliance und Nutzerfreundlichkeit gleichermaßen.