tekom - Gesellschaft für technische Kommunikation - Deutschland e.V.
18.04.2020

Man darf vermuten – EN ISO 20607 nun als harmonisierte Norm zur Maschinenrichtlinie gelistet

Dieter Götz, Martin Rieder

Seit Jahren nehmen sich verschiedene Normungsgremien dem Thema der Technischen Dokumentation und Kommunikation an, so z. B. der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit seinem Regelwerk VDI 4500 Blatt 1-4. Auf internationaler Ebene kennen wir die IEC/IEEE 82079-1 in der 2019 erschienenen Edition 2.

Die IEC/IEEE 82079-1 stellt für Technische Redakteure ein normatives Grundwerkzeug dar, weil sie Dinge normiert, die in der Technischen Kommunikation wichtig sind: Zielgruppen, Ausdruck, Struktur, Prozesse, Qualifikationen, Informationskonzeption usw.

Nun drängt sich eine weitere Norm aus der Ecke von ISO in den Vordergrund. Wie bereits mehrfach berichtet, gibt es seit dem Frühjahr 2019 die ISO 20607 für Betriebsanleitungen für Maschinen. Eine Norm, welche sich selbst im Regelungsumfang auf die "sicherheitsrelevanten Teile" einer Betriebsanleitung reduziert.

Naja, mehr braucht es auch nicht, denn für den Rest haben wir Technischen Redakteure ja die 82079-1 und weitere etablierte internationale Standards.

Official Journal European Union (OJEU) – Liste der Normen mit Vermutungswirkung

Seit rund einem Jahr veröffentlicht die Europäische Union Änderungen der harmonisierten Normen zu deren Richtlinien im sog. Official Journal. Letztmalig wurde dieses mit dem Durchführungsbeschluss 2020/480 der Europäischen Kommission (EC) vom 01.04.2020 aktualisiert.

Wie bereits mehrfach angekündigt, war es die Absicht der ISO Arbeitsgruppe 5 des Technischen Komitee 199, die EN ISO 20607 als harmonisierte Norm zur EG-Maschinenrichtlinie zu listen. Dies ist nun mit dem aktuellen Durchführungsbeschluss geschehen.

Gerade hier ist nun Vorsicht geboten. Denn nicht wie ursprünglich erwartet, lösen lediglich Teile dieser Norm diese Vermutungswirkung aus.

Mit Anwendung der EN ISO 20607 werden auch nur die Vorgaben des Abschnittes 1.7.4.2, exkl. Punkt u) (Angaben zu Lärmemissionen, Anm.) als erfüllt angesehen.

Worum geht es nun in der EN ISO 20607

Die neue Typ-B Norm wurde als Hilfestellung für Maschinenhersteller geschaffen, damit diese eine gesetzeskonforme Betriebsanleitung herstellen können und hierzu "konform" zu den Vorgaben der Maschinenrichtlinie agieren.

Eine Betriebsanleitung ist lediglich ein Element der Nutzungsinformationen einer Maschine. Dies wird von der IEC/IEEE 82079-1:2019 normativ umfangreicher erfasst.

Eine detaillierte Darstellung des normativen Inhalts der ISO 20607 "Die Zwei - Maschinen dokumentieren" kann in der Ausgabe 4/2019 der 'tk' oder online hier nachgelesen werden.

Die EN ISO 20607 regelt in ihrem Abschnitt vier Grundsätze und allgemeine Information, wobei der Abschnitt 4.11, wo es sich um Nutzungsinformationen in Bezug auf IT-Schwachstellen handelt, ebenfalls von der Vermutungswirkung ausgeschlossen ist. Hier verweist die Norm auf den ISO/TR 22100-4 'Guidance to machinery manufacturers for consideration of related IT-security (cyber security) aspects', welcher als Technische Regel zur EN ISO 12100 im Dezember 2018 publiziert wurde und spezifisch auf das Thema IT-Sicherheit eingeht.

In Abschnitt 4 verweist die Norm zudem auf den wichtigen Abschnitt 6.3 'Design, and development, including review, editing and testing' der IEC/IEEE 82079-1:2019.

In Abschnitt 5 regelt EN ISO 20607 Inhalt und Aufbau der Betriebsanleitung. Hier liefert die Norm eine Art "Kochrezept" für den musterhaften Aufbau einer Betriebsanleitung, stellt aber klar, dass es sich hierbei nur um eine Empfehlung handelt. Technische Redakteure im Maschinenbau müssen also weiterhin eigenständig entscheiden, welche Struktur zu ihren Informationsprodukten passt. Umfassendere Ansätze liefert wiederum die bewährte 82079-1.

Worin liegt nun der Sinn und Zweck der EN ISO 20607?

Die Norm enthält eine pragmatische Konkretisierung der Anforderungen aus der EN ISO 12100 Abschnitt 6.4 und kann auch ohne größere Kenntnisse über Technische Kommunikation verstanden und angewandt werden. Nicht so die Anwendung der IEC/IEEE 82079-1.

Bei der EN ISO 20607 geht es um Basisvorgaben für eine Betriebsanleitung für Maschinen – ein wichtiger Aspekt für viele Maschinenbauunternehmen. Die Norm kann in diesem Fall als Erste-Hilfe-Instrument angesehen werden. Sie unterstützt Unternehmen ohne Fachpersonal oder ohne eigene Technische Redaktion. Unternehmen können einen Leitfaden erhalten, mit dem sie ihre Betriebsanleitungen auf ein Mindestniveau anheben und konform zu den geltenden gesetzlichen Vorgaben erstellen.

Man muss aber eingestehen, dass in der Norm keine umfassenden Antworten auf tiefgreifende Fragen Technischer Redaktionen stehen. Dies zeigt sich bereits bei den Warnhinweisen, wo in der Norm lediglich ein knapper Hinweis zum inhaltlichen Aufbau gegeben wird. Eine Kategorisierung fehlt komplett, wie wir sie aus IEC/IEEE 82079-1 oder gar aus der ANSI Z535 kennen.

Bei der Anwendung der Norm ist wichtig, dass kritische Überschneidungen oder Widersprüche zur 82079-1 ausgeräumt wurden, sodass man gut mit beiden Normen leben kann.

fazit

EN ISO 20607: Brauchbar für einfache und schnelle "Gerichte", also einfache Betriebsanleitungen, ohne selbst umfangreiches Fachwissen in der Technischen Redaktion mitbringen zu müssen.

IEC/IEEE 82079-1: Umfassender Regelungsumfang, tief in den Kern der Technischen Kommunikation vordringend. Sie setzt Kenntnisse in der Informationsentwicklung voraus und erfordert Konzeptarbeit.

In der Anwendung sind Maschinenbauredakteure gut bedient, vom Einfachen hin zum Komplexen zu arbeiten. Das soll heißen, dass man zuerst die wenigen Anforderungen der ISO 20607 erfüllt und sich dann an den Speck der IEC/IEEE 82079-1 heranmacht.

Mit zunehmender Kompetenz in der Technischen Redaktion, wird die ISO 20607 aufgrund ihres beschränkten Regelungsumfanges ohnehin nur als normativer "Beiwagen" fungieren.